Städteexpress
Die Städteexpresszüge – auf Tagestrip in Orange-Elfenbein nach Ost-Berlin
Einst Stolz der Deutschen Reichsbahn - heute nahezu schon vergessen. Der Städteexpress von Chemnitz über Dresden nach Berlin überquerte am 16.05.1989 - geführt von einer Lok der Baureihe 250 (heute 155) das heute nicht mehr befahrene Viadukt in der Nähe des darunter liegenden Bahnhofs Hetzdorf der Nebenbahn Flöha-Marienberg. Foto Thomas Böttger.
Der östliche Teil von Berlin, die Hauptstadt der DDR, war gleichzeitig das Machtzentrum des „demokratischen Zentralismus“. Neben dem Sitz der Regierung wurden auch gesellschaftliche Organisationen und Kombinate (volkseigene Großbetriebe - vergleichbar mit modernen Konzernen) von der einstigen preußischen Residenzstadt aus geleitet. Das hatte zur Folge, dass an Werktagen jede Menge Dienstreisende zwischen der „Provinz“ und der Hauptstadt unterwegs waren. Da vielen mittleren DDR-Leitungskadern in den 1970er Jahren der Dienstwagen im Zuge von Einsparungsmaßnahmen entzogen wurde, mussten diese, mehr oder weniger zähneknirschend, bei ihren Dienstreisen mit stets überfüllten D-Zügen vorlieb nehmen. Da für den Ausbau der Hauptstadt im Rahmen der Berlininitiative Arbeitskräfte aus dem „Rest der Republik“ abgezogen wurden, brauchte man auch für diese Berufspendler ausreichende Transportmöglichkeiten. Ebenso löste die bevorzugte Belieferung der Berliner Läden einen regelrechten Einkaufstourismus aus, dessen Bewältigung ebenfalls auf die Deutsche Reichsbahn zurückfiel.
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Es musste deshalb eine Lösung gefunden werden, um leistungsfähige Verkehrverbindungen zwischen Berlin und den Bezirksstädten zu schaffen. Wie sollte es anders sein, ein entsprechendes Programm zur Verbesserung des „Arbeiterberufsverkehrs“ bis 1980 wurde 1976 auf dem IX. Parteitag der SED verkündet. Dass es dann fast über Nacht, im Oktober 1976, zur Einführung von sieben neuen Städteexpressverbindungen kam, damit hätte niemand gerechnet. Möglich wurde dies nur weil die Staatliche Plankommission der Deutschen Reichsbahn kurzerhand 103 werksneue Reisezugwagen der UIC-Type YB 70 zugeteilt hatte. Entsprechend der RGW-Festlegung waren diese für die Tschechoslowakischen Staatsbahnen produziert worden. Die Bautzener Waggonbauer blieben aber auf diesen Wagen sitzen, da sie von Tschechen nicht abgenommen wurden. Die Ursache dafür waren nicht etwa Qualitätsmängel sondern die damals negative Zahlungsbilanz zwischen der DDR und der CSSR. Diese Pose der Planwirtschaft konnte nun sogleich als Verbesserung der „Arbeits- und Lebensbedingungen für die Werktätigen der DDR“ verkauft werden.
Zum letztenmal auf dem Titelblatt des DR-Kursbuches erschien ein Städteexpresszug auf dem Jahresfahrplan 1990/1991. Sammlung www.eisenbahnarchiv.de.
Die Aufgabenstellung dieser neuen Züge bestand im wesentlichem darin attraktive Tagesverbindungen von allen Bezirksstädten aus, welche weiter als 150 km von der Hauptstadt entfernt waren, herzustellen. Die Abfahrtszeit der später auf 10 Verbindungen erweiterten Expresszüge bewegte sich in etwa zwischen 4.00 ... 7.00 Uhr, in Abhängigkeit von Streckenlänge und Fahrzeit. Die Ankunft in Berlin erfolgte im Zeitrahmen von 8.00 ... 10.00 Uhr. Bis zur Rückfahrt sollten den Fahrgästen mindestens sechs Stunden zur Verfügung stehen, um die Erledigung der dienstlichen Aufgaben oder touristischen Vorhaben zu ermöglichen. Auch gab es Aussteigemöglichkeiten am Zentralflughafen Berlin-Schönefeld.
Wer mit dem „Städteex“ reisen wollte, musste sich rechtzeitig um die Platzreservierung kümmern, denn diese Züge führten nur Platzkartenwagen. Mitfahren konnte man auch ohne entsprechende Reservierung, hatte dann aber keinen Anspruch auf einen Sitzplatz. In der Praxis war es aber so, dass sich viele Firmen bereits Wochen vorher etliche Plätze reservieren ließen. Da dann aber meist weniger Mitarbeiter reisten als Sitzmöglichkeiten gebucht waren, fanden auch spontane Fahrgäste mit etwas Glück ihren Platz. Denn speziell für Betriebe bot die Deutsche Reichsbahn Blankofahrkarten, gültig für acht Fahrten an, mit welchen die langfristige Buchung von Sitzplätzen der Expresszüge möglich wurde. Besonders stark belegt waren die Städteexpresszüge welche am Montag früh nach Berlin fuhren und mit welchen die Berufspendler am Freitagnachmittag zurückkamen. Heute haben sich derartige Verkehrsspitzen längst auf die Autobahnen verlagert.
Rein optisch hoben sich die Expresszugwagen durch die orange-elfenbein-farbige PUR-Lackierung vom sonst üblichen dunklen „Reichsbahngrün“ ab. Auffällig war, dass die in den Zugverband eingestellten Speisewagen nie so recht zum Gesamtbild passten. Das hatte seine Ursache darin, dass diese nicht zum Lieferprogramm für die CSD gehörten. Deshalb musste die DR hierbei auf Wagen des Rekoprogrammes zurückgreifen, welche im Raw Halberstadt ein Büfettabteil bekommen hatten. Diese wurden zwar passend zu den Städte-Expresszügen umlackiert, hoben sich durch andere Abmessungen von den hier üblichen Neubau-Einheitswagen ab. Offiziell wurde das damit begründet, dass sich ein Einsatz von Speiswagen nicht lohne, da die Städtexpresszüge nur „kurze“ Fahrzeiten haben. Eine Neuheit waren auch die fern betätigten Türschließungseinrichtungen. Während bei der DR sonst die Schaffner für den ordnungsgemäßen Schließvorgang verantwortlich waren, konnten nun nicht vollständig geschlossene Türen per Tasterdruck nochmals geöffnet und danach elektropneumatisch verschlossen werden. Auch wurden die Innentürdrücker bei Überschreiten einer Geschwindigkeit von 5 km/h automatisch blockiert. Durch spezielle Notfalltaster an den Einstiegtüren konnte dieser Vorgang für eine Minute unterbrochen werden.
Selbst an den Wochenenden wurden die im Regeldienst nicht benötigten Städte-Express-Wagen nicht arbeitslos, denn die Deutsche Reichsbahn setzte diese Trains dann für Sonderfahrten ein. Das Ende kam schließlich 1991, nachdem die neuen Eisenbahn-Tarife viele Stammfahrgäste zum Umsteigen in das eigene (West-)Auto animiert haben. Völlig unbeachtet von den Medien fuhren die Städte-Expresszüge schließlich am 01. Juni 1991 das letzte Mal und setzten damit dem Flaggschiff der einstigen DDR-Staatseisenbahn ein Ende.
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