Neubau-E-Loks

Die Neubauelektroloks – moderne Fahrzeuge für einheimische Energieträger

von Thomas Böttger

Mit der Wiederaufnahme des elektrischen Zugbetriebes am 1. September 1955 auf der Relation Halle – Köthen knüpfte die Deutsche Reichsbahn an jahrzehntelange Bestrebungen zur Modernisierung des Eisenbahnwesens an. Während Großbritannien schlechthin als das Mutterland der Eisenbahn gilt, haben deutsche Techniker einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Drehstromlokomotive geleistet. Triebfahrzeuge mit Gleichstrommotoren setzten sich in Deutschland nur bei Bahnen von lokaler Bedeutung durch, schienen doch hier die Vorteile der Drehstromtechnik zu überwiegen. Denn nur Drehstrom lässt sich, hoch transformiert relativ verlustfrei über große Entfernungen übertragen, auch überzeugen Drehstromantriebe durch ihr günstiges Masse- Leistungsverhältnis. Im Jahre 1889 wurde die erste Drehstrom-Versuchslokomotive der Welt auf der Strecke Groß-Lichterfelde – Zehlendorf getestet. Die Maschine überlebte übrigens die Wirren der Zeit, umgebaut auf Gleichstrom, auf einer Industriebahn (Außerdienststellung 1974) und gehört heute zur Fahrzeugsammlung des Verkehrsmuseums Dresden.

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Bei der Wiederinbetriebnahme des elektrischen Zugbetriebes in Mitteldeutschland musste sich die Deutsche Reichsbahn vorerst mit Altbaufahrzeugen begnügen. Die Hauptlast des Verkehrs trugen die von den sowjetischen Freunden zurück getauschten E 44 und E 94, letztere Baureihe wurde auch als „Krokodil“ oder „Eisenschwein“ bekannt. Während die Babelsberger Lokfabrik mit der Produktion der V 180 voll und ganz ausgelastet war, verpflichtete man den VEB Lokomotivbau Elektrotechnische Werke „Hans Beimler“ (LEW) in Hennigsdorf mit der Entwicklung und Produktion von Neubau-Elektrolokomotiven. Im Jahre 1961 konnte die Deutsche Reichsbahn mit E 11 001 (ab 1970 211 001) die erste Elok aus DDR-Produktion in Betrieb nehmen. Speziell für den Güterzugdienst entwickelte man daraus die E 42 (BR 242), welche sich technisch nur die geänderte Getriebeübersetzung unterscheidet. Natürlich waren die Arbeitsbedingungen für die Lokführer auf diesen Neubauloks wesentlich komfortabler als beispielsweise auf einer 44er. Während sich die Dampflokpersonale bei Rückwärtsfahrten nur durch einen groben schwarzen Vorhang etwas vor dem kalten Fahrtwind schützen konnten, wenn eisige Kälte herrschte, saß man bei der Elektrolok stets im mollig warmen Endführerstand. Da in diesen Genuss vielmals Kollegen kamen welche sich irgendwie „hochgedient“ hatten, nannten die „Schwarzen“ diese Spezies damals noch respektlos „Straßenbahnfahrer“. Anzutreffen waren die robusten Maschinen in den 1990er Jahren häufig noch vor Ganzzügen beladen mit Holz, deshalb bekamen sie hierbei den Namen „Holzroller“ weg. Für den Einsatz auf der mit Landstrom betriebenen Rübelandbahn (Blankenburg – Königshütte) entstand ab 1965 auf Basis der E 11/E 42 die E 251 (ab 1970 BR 251).

Um die Lücke im Fahrzeugpark zu schließen, inzwischen waren etliche weitere Streckenkilometer unter den Fahrdraht gekommen, bestellte die Deutsche Reichsbahn ab 1974 neue sechsachsige Elektrolokomotiven bei LEW. Augenfällig war an diesen Maschinen der eckige Lokkasten, bei dessen Formgebung auf eine rationelle Reinigungsmöglichkeit in Waschanlagen Wert gelegt wurde. Dies entsprach aber auch den Zeitgeschmack der 1970er Jahre, die Epoche der runden Formen war inzwischen überwunden. Parallelen dazu lassen sich übrigens auch im Design von Kraftfahrzeugen jener Zeit finden. Etwas eigenwillig wirkt auch die Platzierung der Typhone unterhalb der Stirnfenster.  Diesmal verzichteten die Hennigsdorfer Lokomotivbauer auf unterschiedliche Getriebebauarten. Die als BR 250 eingereihte Elektrolok sollte sich sowohl für den schweren Güterzugdienst als auch für Reisezüge auf neigungsreichen Strecken eignen. Auch heute noch bewährt sich diese letzte typische Reichsbahn-Elektrolok vor schweren Zügen.

Nachdem die Beschaffung von Elektrolokomotiven bei der DR scheinbar ihren Anschluss gefunden hatte, überraschte die Besucher der Leipziger Frühjahrsmesse 1982 eine Neuentwicklung aus dem Hause LEW. Da auf Grund des „Elektrifizierungsprogramm“ hoher Bedarf an elektrischen Lokomotiven bestand, wurden die Hennigsdorfer Lokomotivbauer mit der Realisierung beauftragt. Besonders angenehm fiel die Baumusterlok 243 001 durch ihre verkehrswerbende Lackierung auf. Nachdem Eloks der DR über Jahrzehnte nur in Einheitsgrün oder „Altrot“ daherkamen zeigte sich die Neue in zartem weiß mit roten Zierstreifen. Das brachte ihr sogleich den bewunderten Zunamen „Lady“ ein. Da diese Farbgebung im harten Alltagsbetrieb jedoch zu schnell verschmutzte, erhielt die „weiße Dame“ bei einem Raw-Aufenthalt das übliche rote DR-Farbkleid. Ähnlich wie bei den ersten Neubauelektrolokentwicklung der DDR entwickelte man auch eine höher übersetzte Schnellzugvariante, bezeichnet als BR 212. Die BR 212/243 ist zwar eine Neukonstruktion basiert auf den guten Erfahrungen mit der BR 250. So kamen hier technisch ähnliche Lösungen, wie Einzelachsantrieb mit 16 2/3-Hz-Einphasenreihenschlussmotoren zur Anwendung. Grundsätzlich neu war der Automatisierungsgrad von Steuer- und Regelvorgängen, auch konnten bei der Gestaltung des Führerstandes Mediziner und Formgestalter ein Wörtchen mitreden. Während bei allen bisherigen Eloks aus DR-Elektroloks Bügelstromabnehmer Standart waren, rüstete man die BR 212/243 erstmals mit den eleganter wirkenden Einholmstromabnehmern aus. Alles in allen kann man von einer sehr gelungenen Konstruktion sprechen, was der „Lady“ auch völlig neue Einsätze im wiedervereinten Deutschland bescherte.

Um ein Umspannen der Züge auf der vielbefahrenen Elbtalbahn Dresden - Decin (Tetschen-Bodenbach) zu umgehen bestellte die Deutsche Reichsbahn ab 1988 bei Skoda auch einige Zweisystemlokomotiven. Eingereiht als Baureihe 230 wurden sie wegen ihrer Herkunft und des abweichenden Aussehens alsbald „Knödelpresse“ genannt.

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