Erfolgsmodell Doppelstock

Erfolgsmodell Doppelstock – mehr Eisenbahn für das werktätige Volk

von Thomas Böttger

Als in den Nachkriegsjahren der Wiederaufbau der Wirtschaft vorankam, stand die Deutsche Reichsbahn auch vor der Aufgabe den Berufs- und Vortortverkehr in Griff zu bekommen. Vor allen in den industriellen Ballungsräumen und in den Bergbaugebieten der SAG Wismut galt es den wachsenden Massenverkehr zu bewältigen. Problematisch war vor allem in den Uranbergbaugebieten die weit verbreitete Unsitte der Kumpel auf den Wagendächern von Schichtzügen die frische Luft zu genießen. Bedingt durch Platzprobleme wurde auch auf den langen Trittbrettern der Abteilwagen mitgefahren. Natürlich blieben dabei Unfälle nicht aus, deshalb setzte die Deutsche Reichsbahn für die Wismut-Züge nach Möglichkeit Behelfspersonenwagen ein (gewölbte Dächer – Endeinstiege), welche durch Umbau gedeckter Güterwagen entstanden sind. Eine wirkliche Lösung dieses Problems brachten aber erst die ab 1951 in der LOWA Görlitz entwickelten und produzierten Doppelstückzüge.

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Die Idee ist nicht neu, denn schon um 1850 begann man damit auf mit Geländern versehenen Wagendächern Bänke aufzustellen. In Deutschland beschaffte die Altona-Kieler Eisenbahn die ersten „echten“ Doppelstockwagen. Als Vorläufer des modernen Doppelstockverkehrs sind jedoch die doppelstöckigen Wagen der Lübeck-Büchner-Eisenbahn (LBE) zu sehen, welche ab 1936 eingesetzt wurden.

Der erste planmäßige Einsatz von Neubaudoppelstockwagen erfolgte im Wismut-Schichtverkehr auf der Zweigbahn nach Oberschlema / Schneeberg. Bekannt geworden ist auch eine Präsentationsfahrt von Chemnitz in das obere Erzgebirge nach Annaberg-Buchholz im Februar 1954, an welcher auch „Volkskorrespondenten“ eines wichtigen Partei-Organes teilhaben konnten.  

Da der DR damals noch keine Neubaudampflokomotiven oder Diesel-Triebfahrzeuge zur Verfügung standen, gab es dabei recht kuriose Zugbildungen, vielmals mit Länderbahnlokomotiven. Eine besondere Rolle spielten die Doppelstockwagen auf der Steilstrecke Arnstadt – Ilmenau – Schleusingen. Da die dort eingesetzten T 16.1 (DR 94.5-17) nur ein bestimmtes Zuggewicht über den Rennsteig ziehen konnten, wurden früher vor Beginn der Steilrampe einfach Wagen zurückgelassen. In der Praxis sah es dann so aus, dass einige Reisenden meist die letzten Kilometer im Packwagen verbringen durften. Eine Lösung zeichnete sich hier erst mit dem Einsatz einer zweiteiligen Doppelstockeinheit + einem Drehgestellwagen (Bghwe) („kurzer Halberstädter“) ab. Bei annähernd gleicher Last war damit das Platzangebot fast um das Doppelte gestiegen. Derartige Garnituren bestimmten auch mit dem Austauchen der BR 118 weiterhin das Bild dieser Steilstrecke über den Thüringer Wald.

In dem auf große Beförderungszahlen getrimmten Regionalverkehr der Deutschen Reichsbahn zeigten die Doppelstockfahrzeuge sehr schnell ihre Vorzüge. Besonders wichtig war die Erhöhung des Fassungsvermögens auf 30 – 50% gegenüber herkömmlichen einstöckigen Reisezugwagen bei Ausnutzung der zulässigen Achslasten. Auch konnte die Zuglänge verringert werden, was sich auch bei der Inanspruchnahme von Abstellgleisen als vorteilhaft erwies. Die Doppelstockwagen aus Görlitz fanden ebenso bei den sowjetischen, polnischen, tschechischen, rumänischen und bulgarischen Bahnverwaltungen dankbare Abnehmer. Denn auch in diesen „Ostblockländer“ hatte die Eisenbahn ihre Aufgabe als Massentransportmittel zu erfüllen.

Während die Doppelstöcker der ersten Lieferserie nur über Holzbänke befügten und als „3. Klasse“-Garnitur liefen, wurde die Ausstattung dieser Sitzwagen im Laufe der Zeit immer komfortabler. Die Görlitzer lieferten die Standartausführung mit Polstersitzen, welche in Reihe und zu Abteilen zusammengestellt wurden. Auch die Innenwände verfügten über „moderne Dekors und angenehme Farbgebung“. Die großen Fenster machten diesen Wagentyp fast zu einem „Aussichtswagen“ für die Fahrgäste im Oberstock. Leider trübte diesen guten Ausblick manchmal eine bräunliche Dreckschicht auf der Außenhaut der Fahrzeuge, ein Indiz auf Engpässe bei der Wagenwäsche. Gewöhnlich waren aber trotzdem bei den Doppelstockzügen die oberen Sitzplätze eher belegt als im Unterstock. Eine Besonderheit war auch die Warmluftheizung, welche wahlweise mit Dampf oder Elektroenergie betrieben werden konnte. Im Sommer diente sie zur Belüftung der Wagen.

Besonders nutzbringend war der Einbau eines Steuerabteiles für den Wendezugbetrieb. Dieser funktionierte sogar bei Dampfbetrieb, indem sich Lokführer und der reglerberechtigte Heizer per Klingelzeichen verständigten! Die dafür speziell ausgerüsteten Maschinen der BR 65.10 verfügten über eine Wendezugsteuerung, welche aus dem besagten „Befehlsgerät“ und einer druckluftbetätigten Regelschließeinrichtung bestand. Somit konnte der Lokführer vom Befehlswagen aus bei Bremsungen auch den Regler schließen. Jedenfalls entfielen damit aufwendige Rangierfahrten, denn auf Grund des hohen Nutzungsgrades von Bahnhofsgleisen bei der DR gestalteten sich Umfahrungen mitunter schwierig und zeitaufwendig.

Besonders nachteilig erwies allerdings, dass man bei diesen fest gekuppelten Einheiten schadhaft gewordene Wagen nicht einfach aus dem Zugverband entfernen konnte. Trat ein Achsschaden ein, fiel sofort der gesamte Doppelstock-Gliederzug aus. Dem konnte nur durch besonders sorgfältige Kontrolle und Wartung begegnet werden. Auch der Hersteller trug diesem Problem Rechnung und rüstete bereits ab Baujahr 1954 alle Doppelstockzüge mit Rollenlagerradsätzsätzen aus.

Während man bei den ersten Doppelstöckern der 3. Klasse jeweils zwei oder vier Wagen mit Schraubenkupplungen fest verband, wurden ab 1957 fünfteilige Doppelstock-Gliederzug in 2. Wagenklasse üblich. Eine völlig neue Generation von Doppelstock-Standart-Sitzwagen offerierten die Görlitzer auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1972. Neben einem veränderten Grundriss wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit von bisher 120 auf 140 km/h erhöht. Konzipiert wurden diese Fahrzeuge als Einzelwagen, was von nun ab einen freizügigeren Einsatz versprach. Dieser Prototyp bildet die Grundlage für alle noch in der Gegenwart hergestellten Doppelstockwagen. Denn nach der Vereinigung beider deutscher Bahnen hat dieses Erfolgsmodell auch den bisher „doppelstockfreien“ (abgesehen von einzelnen Aussichtswagen des „Rheingold“ und „Rheinpfeil“) Westen Deutschlands erobert 

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