Die Leichtverbrennungstriebwagen – Blutblasen und Ferkeltaxen retten die Nebenbahn

von Thomas Böttger

172 117 und 171 009 warteten im März 1990 einträchtig nebeneinander, um von Blumenberg aus Anschlüsse aufs Land sicherzustellen. Sammlung Stefan Eisenhut.

Mit dem Vordringen des Dieselmotors als wirtschaftlichste Wärmekraftmaschine der Welt entwickelten sich Kraftfahrzeuge immer mehr zu ernstzunehmenden Konkurrenten der Schiene, sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr. Was lag also näher als wie die Vorteile dieses rationellen Antriebssystems auch für die Eisenbahn nutzbar zu machen. Besonders auf Nebenbahnen mit geringen Verkehrsaufkommen erforderte die Dampftraktion einen erheblichen finanziellen Aufwand, welcher in keinem Verhältnis zu den Verkehrseinnahmen stand. Schon frühzeitig gab es deshalb Versuchsantriebe mit Benzinmotoren in Schienenfahrzeugen, welche sich wegen der geringen Leistung jedoch nicht durchsetzen konnte. Die Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen stellten 1913 sogar Omnibusse mit Spurkranzrädern auf die Gleise, die Vorläufer für die erst später geläufigen „Schienenbusse“. Aber erst in den 1930er Jahren standen der Deutschen Reichsbahn die ersten leistungsfähigen Leichtverbrennungstriebwagen für den Nebenbahndienst zur Verfügung, deren Entwicklung mit dem Ausbruch des II. Weltkrieges unterbrochen wurde.
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In den Nachkriegsjahren konzentrierte man sich bei der Deutschen Reichsbahn vorerst mit der Instandsetzung und den Neubau von Dampflokomotiven, um relativ schnell über genügend Triebfahrzeuge mit dieser altbewährten Technik verfügen zu können. Da aber vor allem auf den Nebenbahnen etliche betagte Maschinen aus der Länderbahnzeit zum Einsatz kamen, brauchte man hierfür baldigen Ersatz. Der VEB Wagonbau Bautzen wurde deshalb mit der Entwicklung von Nebenbahntriebwagen mit der Achsfolge 1A beauftragt. Auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1957 konnten die Besucher den ersten Prototyp der neuen Baureihe VT 2.09 bestaunen. Da diese Triebwagen hauptsächlich auf Strecken mit leichtem Oberbau eingesetzt werden sollten, hatten sie eine Radsatzfahrmasse von 11,4 ...13,6 Tonnen. Durch die Motorleistung von 180 PS konnte ein Beiwagen mitgeführt werden. Die Serienfertigung begann im Jahre 1962, ähnlich wie mit den VT 95 bzw. VT 98 der Deutschen Bundesbahn sollte mit ihnen der Reiseverkehr auf wenig frequentierten Strecken wesentlich rationeller als mit dampflokbespannten Zügen durchgeführt werden. Von einem „Nebenbahnretter“ wie im Westen kann man allerdings bei dem Pendant der Deutschen Reichsbahn allerdings nur bedingt sprechen. Denn die DR benötigte ihr dichtes Nebenbahn-Schienennetz vor allem auch für den stets umfangreichen Güterverkehr. Zum einem Nebenbahnsterben im großen Stile wäre es hier sicherlich auch ohne Auftauchen der neuen Leichtverbrennungstriebwagen nicht gekommen.

Da diese Fahrzeuge hauptsächlich in ländlichen Regionen verkehrten, hatten sie schnell den Spitznamen „Ferkeltaxe“ weg. Angeblich sollen damit sogar derartige Borstentiere transportiert worden sein. Auf Grund der blutroten Lackierung und der blasenähnlich abgerundeten Frontpartie sprach man aber auch von „Blutblasen“.

Da sich diese Triebwagen recht gut bewährten legte man ab dem Jahre 1968 eine weitere Lieferserie auf. Im Gegensatz zur Ursprungsversion (BR 171) reihte man diese Fahrzeuge 1970 nach dem EDV-gerechten Fahrzeugschlüssel als BR 172 ein. Neu war an ihnen die Vielfach- und Wendezugsteuerung, um auch den Belangen des Vorortverkehres auf Hauptbahnen gerecht zu werden. Da die Deutsche Reichsbahn über keine vierachsigen Neubaudieseltriebwagen verfügte, sah man hier nicht selten ganze Verbandsfahrten im Berufsverkehr als Personenzug. Um das aufwendige Umsetzen des Motorwagens am Streckenende zu vermeiden, baute man in die Beiwagen der zweiten Lieferserie ebenfalls einen Führerstand ein. Sehr fortschrittlich wirkte auch der Zu- und Ausstieg durch die beiden doppelflügeligen Falttüren, welche sich automatisch schlossen. Dem Fahrgast wurde das mit einem Klingelton und einer roten Warnleuchte signalisiert. Derartige Sicherheitseinrichtungen waren ansonsten den Reisenden der Deutschen Reichsbahn in den 1960er Jahren noch völlig fremd. Die Dieselmotoren des Typs 6VD 18/15 lieferte der VEB Elbewerk Roßlau, die Kraftübertragung übernahm ein elektrisches Sechsgang-Schaltgetriebe.

Als Weiterentwicklung dieser zweiachsigen Leichttriebwagen stellte der VEB Waggonbau Bautzen bereits auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1964 eine neue vierachsige Variante vor. Rein optisch gesehen war dieses Fahrzeug vielleicht sogar ein Vorgriff auf die spätere Baureihe 628.0 der Deutschen Bundesbahn. Mit diesen Triebwagen hätte man auch den Reiseverkehr auf Strecken mit höherem Verkehrsaufkommen rationeller gestalten können. Gebaut wurden aber nur zwei Erprobungsmuster, wovon nur eines überlebte. Denn die Deutsche Reichsbahn setze lieber auf lokbespannte Züge und universell einsetzbare Dieselloks. Je nach Erfordernis konnten diese auch für die umfangreichen Aufgaben des Güterverkehrs eingesetzt werden.

Nach der Gründung der Deutschen Bahn AG begann der Stern der bewährten „Ferkeltaxen“ langsam zu sinken. Zum einen standen etliche der an gestammten Strecken zur Disposition, zum anderen gab es nun vierachsige Dieseltriebwagen, aus Beständen der Deutschen Bundesbahn. Trotzdem erfolgte in den 1990er Jahren im betreuenden AW Halle eine umfassende Modernisierung der nunmehrigen Baureihe 771/772. Ausgestattet wurde die Triebwagen mit Zugfunk und Indusi (PZB80), auch erhielten die Innenräume helle Sprelacartplatten sowie große Verbundglasfenster. Die Polsterung führte man mit grünem Stoff aus und die bisher zum Fahrgastraum hin offenen Führerstände wurden mit Rückwänden (und verschließbaren Türen!) abgetrennt. Auch die Antriebstechnik konnte verbessert werden, neben einer neuen Motorisierung erhielten einige VT sogar ein Strömungsgetriebe. Bei der Farbgebung griff man auf das übliche Mintgrün zurück, nur der 772 342 erhielt als einziger seiner Gattung eine Lackierung entsprechend des heutigen Nahverkehrsschemas. Die letzten Fahrzeuge wurden bei der DB AG 2004 ausgemustert, einige gelangten auch nach Kuba oder Rumänien. Etliche dieser Triebwagen sind aber bei deutschen Eisenbahnvereinen erhalten geblieben.

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Die Städteexpresszüge – auf Tagestrip in Orange-Elfenbein nach Ost-Berlin

von Thomas Böttger

Einst Stolz der Deutschen Reichsbahn - heute nahezu schon vergessen. Der Städteexpress von Chemnitz über Dresden nach Berlin überquerte am 16.05.1989 - geführt von einer Lok der Baureihe 250 (heute 155)  das heute nicht mehr befahrene Viadukt in der Nähe des darunter liegenden Bahnhofs Hetzdorf der Nebenbahn Flöha-Marienberg. Foto Thomas Böttger.

Der östliche Teil von Berlin, die Hauptstadt der DDR, war gleichzeitig das Machtzentrum des „demokratischen Zentralismus“. Neben dem Sitz der Regierung wurden auch gesellschaftliche Organisationen und Kombinate (volkseigene Großbetriebe - vergleichbar mit modernen Konzernen) von der einstigen preußischen Residenzstadt aus geleitet. Das hatte zur Folge, dass an Werktagen jede Menge Dienstreisende zwischen der „Provinz“ und der Hauptstadt unterwegs waren. Da vielen mittleren DDR-Leitungskadern in den 1970er Jahren der Dienstwagen im Zuge von Einsparungsmaßnahmen entzogen wurde, mussten diese, mehr oder weniger zähneknirschend, bei ihren Dienstreisen mit stets überfüllten D-Zügen vorlieb nehmen. Da für den Ausbau der Hauptstadt im Rahmen der Berlininitiative Arbeitskräfte aus dem „Rest der Republik“ abgezogen wurden, brauchte man auch für diese Berufspendler ausreichende Transportmöglichkeiten. Ebenso löste die bevorzugte Belieferung der Berliner Läden einen regelrechten Einkaufstourismus aus, dessen Bewältigung ebenfalls auf die Deutsche Reichsbahn zurückfiel.
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